Mehr Liebe zum Siff

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Wie ich die Landtagsdebatte über mein #Siffgate-Interview verfolgte und mir im Wald ein paar Gedanken über das Tal machte

Herrjeminee, jetzt haben wir die Sache mit dem #Siffgate aber durchdekliniert, oder? Ich war sehr amüsiert über die Hitzigkeit der Debatte im Landtag und habe hier die besten Szenen zusammen geschnitten. Ab Minute 10 spricht Walter Schumacher (und vergleicht mich mit Placido Domingo!). Ich habe mir erlaubt die einstündige Debatte zu straffen, wer es in voller Länge sehen will, findet es hier:

Währenddessen habe ich mir beim Wandern im schönen Soonwald Gedanken gemacht, was man – von politischer Reflexzonenmassage mal abgesehen – noch aus der Debatte mitnehmen könnte. Es ist doch so: Als Burgenbloggerin will ich ja nun auch nicht durchs Mittelrheintal laufen, jeden Kieselstein umdrehen und dann sagen: „Guckt mal, da drunter ist Dreck!“ Mancherorts gibt es hier im Mittelrheintal echt was zu tun, darüber diskutieren meine Blogleser ja gerade sehr fleißig auf allen Kanälen. Mir kam aber auch der Gedanke: Es muss ja nicht immer alles picobello sein. Wie wär’s mit ein bisschen mehr Liebe zum Siff?

Ein Vergleich zu München. Zuletzt habe ich in einer Stadt gewohnt, die gepflegt und geschniegelt ist bis in den letzten Winkel. München verkauft sich als „Weltstadt mit Herz“ und das unvergleichliche „Mia san Mia“ der Bayern ist wohl etwas, das man im Mittelrheintal so nie hören wird (zum Glück!). In München müssen sogar Straßenmusikanten vorher bei der Stadtverwaltung vorspielen und werden dann zum Recall eingeladen. Hier im Mittelrheintal hingegen – so ist mein Eindruck nach nur einem Monat – ist alles ein bisschen trutschiger, die Orte sind von Patina überzogen. Vieles atmet diesen Geist, den ich bereits versucht habe mit „früher war mehr Lametta“ zu beschreiben. Die Frage ist: Wie sehr will man das beseitigen?

Ich habe ja neulich die Bacharach-Steeger begleitet, wie sie ihr Dorf herausputzten. Fand ich toll, wie da alle mitanpacken. Aber ganz ehrlich: In irgendeiner Ritze ist immer Siff. Ich habe einen Fotoordner angelegt, den ich liebevoll „Schmuddelecke“ nenne. Man könnte täglich Versifftes zeigen. Aber nur zwei Ecken weiter ist es wieder wunderschön. Die Rhein-Zeitung zum Beispiel druckte ihre Fotos von der versifften Loreley auf einer Doppelseite neben den strahlend schönen Bildern der Blüchertage. Kaub war am Pfingstwochenende fast aus allen Nähten geplatzt und die historische Veranstaltung mitten im Mittelrheintal kam super an, erzählen viele. Neben jedem Siff ist also auch Platz für Schönes. Es liegt im Auge des Betrachters.

 

Und das bringt mich zu meinem eigentlichen Anliegen. Das zweite Wort, an dem sich die Debatte jetzt hochzog, war das „Brödeln“. Worum geht es beim Brödeln, was könnte Mister Welterbe vielleicht gemeint haben? Ich glaube, da geht es um die Mentalität. Und um das Verständnis von Dienstleistung. Manchmal wird hier nämlich auch ganz schön rumgebratzt. Und das verschreckt die Leute. In den letzten Tagen habe ich ein paar Szenen beobachtet:

Am Dienstag standen zehn Touristen vor der Burg Sooneck. Sie waren sehr enttäuscht, vor verschlossenen Türen. Dabei steht unten gut sichtbar auf einem Schild: Am ersten Werktag der Woche geschlossen. (Wenn man als ausländischer Tourist aber kein Deutsch spricht, Pfingstmontag nicht kennt und sich all das mit dem Wörterbuch übersetzen müsste, wäre man da natürlich trotzdem verloren…). Unglücklich war nur, dass die freundlichen Wanderer aus Franken ausgerechnet von der Touristeninformation in Bacharach hergeschickt worden waren. Da hatte also was mit der Abstimmung nicht geklappt, kommt vor. Die Geschichte geht aber weiter: Mir taten die zehn Franken leid, ich rief bei der Nachbarburg an, der Burg Rheinstein. Ob die heute offen hätten? „Ja, schicken Sie die Leute gern vorbei.“ Gesagt, getan. Die zehn Franken waren schon gar nicht mehr so vergrätzt wie eben noch. Als ich die Geschichte aber später anderen erzählte, kassierte ich Augenrollen: „Zu denen hast du die geschickt?!“ Willkommen im Mittelrheintal.

Nächste Episode heute morgen. Drei Wanderer aus Lahnstein fragen mich vor der Burg Sooneck: “Sie sind doch die Burgenbloggerin?“ Wir kommen ins Gespräch und einer sagt: „Im Grunde hat er ja recht, der Welterbebauftragte. Der hat einfach mal das gesagt, was wir auch als Einheimische oft erleben: Wir standen neulich kurz vor 16 Uhr vor einem Winzerhof und durften nicht rein. Wir bekamen keinen Wein, weil wir zu früh dran waren.“ Die drei Lahnsteiner und ich debattierten dann noch eine Runde im Wald weiter, aber im Grunde waren wir uns einig: Manchmal fehlt nur eine Kleinigkeit. Eine freundliche Geste für die Gäste. Vielleicht ein Siphon für den Siff.

Und es gibt ja auch viele Beispiele, wo man sich helfend zur Hand geht. Ich bin jetzt zum Beispiel Mitglied der Facebook-Gruppe Besser Boppard. Da sagt man sich gegenseitig Bescheid, wenn es mal irgendwo hakt. Wenn zu viele Radfahrer auf dem Gehweg an der Rheinallee fahren. Oder ein Depp die Pferde von der Koppel gelassen hat. Oder ein Haufen Bruchsteinplatten abzugeben ist. Schön zu sehen: Da wird weniger gebrödelt. 

 

15 Kommentare

  • Sarah says:

    Ich finde, Liebe zum Siff ist ja schoen und gut, und manch einer uebertreibt auch wahnsinnig bezueglich der Situation am Mittelrhein. Aber hey, St. Goarshausen zum Beispiel ist sowas von traurig, das geht gar nicht. Meine Tante erzaehlte mir gestern, dass ein paar Touristen neulich zu ihr sagten: Was sollen wir denn bitte HIER machen? Hier gibt es ja gar nichts. Frueher war St. Goarshausen schoen und idyllisch. Aber dann lief vieles falsch, und augenscheinlich koennen sich die Betriebe nicht mehr vernuenftig halten, das ist sehr bedenklich. Na, jedenfalls muessen wir alle daran arbeiten. Denn eins ist sicher, der Mittelrhein ist wunderschoen und kann Touristen sehr viel bieten, solange wir uns ein wenig mehr anstrengen, das 21ste Jahrhundert willkommen zu heissen. So. :)

  • Hi Jessica,

    obwohl ich nicht aus Deiner Burggegend komme und per se nichts mit Gebrödel und Siffgate zu tun habe, bin ich sehr interessiert an Deinen frischen Beiträgen.

    Als Deutschland-Reiseblogger bin ich natürlich auch in der „Siffgegend“ unterwegs und habe von Leuten/Gästen vor Ort desöfteren Tendenzen in diese Richtung mitbekommen. Für mich (der das Ganze aus touristischer Sicht betrachtet) eine äußerst bedenkliche Entwicklung.

    Hoffen wir, dass Dein Blog zumindest ein wenig zum Wachwerden (und Wachbleiben) beiträgt. Und falls ich das nächste Mal in der Gegend bin, zeigst Du mir bitte Deine Lieblingsburg (die hoffentlich geöffnet aber nicht siffig ist) :-)

    Weiter so!

    LG,
    Jan

  • gargantua1 says:

    Herzlichen Glückwunsch, jetzt bist Du mittlerweile auch in der FAT angekommen, und garnicht mal schlecht! Im Gegenteil.
    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/tal-der-loreley-wie-man-einen-mythos-verkauft-13634207.html
    Viele Grüsse

  • Katrin says:

    “Zu denen hast du die geschickt?!” – Das ist doch sicher nicht so ernst gemeint. Und das gibt es nicht nur im Mittelrheintal. Überall werden diese kleinen lokalen Kabbeleien gepflegt. Zwischen Köln und Düsseldorf, zwischen Mainz und Wiesbaden, – überall gibt es eine „ebsch Seit´“.
    Das ist auch unterhaltsam. Letztens beim „Fest der fliegenden Brücke“ http://www.st-goar.de/2064-0-fest-der-fliegenden-bruecke.html meinte bei der Überfahrt ein alteingesessener Sankt-Goarshausener, „Mist, jetzt hab ich doch meine Jacke vergessen!“ – Hahaha. Hintergrund: Linksrheinisch ist die Schattenseite. Wir machen uns auf der rechten Seite drüber lustig.
    Das darf natürlich nicht so weit gehen, dass man Touristen Informationen vorenthält, weil man der Nachbargemeinde keine Gäste gönnt! Aber davon abgesehen: Ein wenig Konkurrenz spornt die Menschen auch an, ihren Heimatort voranzubringen. – Hoffentlich.

  • Moritz Kircher says:

    Was für eine herrlich kleinkarierte Debatte im Landtag, nur weil mal einer sagt, was er denkt. Solchen Leuten, die reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, möchte ich immer laut Beifall klatschen. Aber sie werden von allen Seiten fertig gemacht. Auch von einem Gemeinderat von der Loreley. Die haben den Loreleyfelsen auf ihrem Gebiet! Und sie schaffen es offenbar nicht, aus diesem Goldesel was zu machen? Stattdessen stößt er leidenschaftlich in das Lieblingshorn des Lokalpolitikers, die doch alles ehrenamtlich machen. Nur… nicht alles was ehrenamtlich ist, ist gut und per se von jeglicher Kritik ausgenommen. Das sollten sich die Leute mal hinter die Ohren schreiben.

  • sandraelgass says:

    Schöne Schau! ;)

  • Mona Jung says:

    Letztes Jahr wollten mein Mann und ich den Stadtmauerrundweg in Oberwesel laufen. Das war nicht einfach, ungekennzeichnete Baustellen und schlechte Markierung haben dazu geführt, dass wir irgendwann mitten in Oberwesel standen und den Weg nicht fanden. Ein anderes Paar irrte auch mit dem Stadtplan in der Hand umher. In einem Geschäft fragte ich dann nach dem Weg, Behandelt wurde ich mehr als unfreundlich, eher wie ein dummes lästiges Kind, so etwa ist mir noch nie passiert. Auf jeden Fall haben wir keine Lust mehr nach Oberwesel in die Stadt zu fahren.
    Entschädigt wurden wir allerdings von dem Besuch im Gründerodehaus, tolles Lokale, super Aussicht und nettes Personal. Hier kommen wir gerne wieder hin.

  • Vergnügtes Schmunzeln meinerseits über Ihren Begriff „politische Reflexzonenmassage“, verehrte Kollegin.
    Ansonsten: Vielleicht darf ich Ihrem Text „Mehr liebe zum Siff“ einen kulturhistorischen Gedanken zur Seite stellen: Die Liebe der ERSTEN Rheinromantik, der literarischen und malerischen (Schlegel, Hölderlin, Heine, Brentano, Lord Byron, Turner und Co.), galt gerade den verfallenen, überwucherten, von der damals neuen Industriewelt vergessenen Burgruinen. Die Herausputzerei zur mittelalterseligen Pittoreske der ZWEITEN, bis heute anhaltenden, Rheinromantik begann erst nachher mit den Träumereien preußischer Prinzen.

  • Markus says:

    Das ist wirklich super klasse was SIe als Burgenbloggerin leisten. Zu Beginn Ihrer Zeit dachte ich daß dies ein kleiner Tourismusblog wird, daß Sie derartige große Debatten anstossen hätte ich niemals erwartet.
    Vielen Dank dafür und weiter so!

  • Maik says:

    Dieser Adolf Weiland ist ja eine Träne, du meine Güte! Aber in einem hat er Recht: Die Zeiten sind zum Glück vorbei, wo das Volk jubelnd am Ufer stehen muss, wenn der König über den Fluss fährt.

  • Friederike says:

    Die Landtagsdiskussion war ja mal auf jeden Fall ganz großes Kino, ich habe sie mir doch tatsächlich von der ersten bis zur letzten Minute live reingezogen. Ist mir ja noch nie passiert, sowas. Aber es war einfach zu schön. Und noch was Wunderbares: ersetze „Mittelrheintal“ durch diese oder jene andere Touristenregion in Deutschland – passt. Deswegen macht das Mit-Lesen Sinn, auch wenn ich (zugegebenermaßen) vorher keinen Schimmer hatte, wer oder was das Mittelrheintal ist.

  • Tim says:

    Also Franken sind ausländische Touristen?! *lach*
    Aber eigentlich sollten die froh sein das die Tourist Info in Bacharach überhaupt auf war. Ich selbst war letztes Jahr im Frühjahr mal dort um mir eine Wanderkarte zu besorgen und da war zu, und das um 15 Uhr nachmittags an einem Samstag wo die meisten Touristen in der Stadt sind. Nicht gerade optimal finde ich.
    Was mich etwas wundert ist das die Tourist Information in Bacharach nicht über die Öffnungszeiten der Burg Sooneck informiert ist. Ich dachte die Touristen Informationen am Mittelrhein wären heute besser informiert durch die http://www.romantischer-rhein.de ?

    Ja, wir Steeger tun alles Mögliche um unser Dorf vom Siff zu befreien, aber wir können es nicht ändern das man durch Bacharach fahren muss um in unser schönes Dorf zu kommen! (Vorsicht: Spaß!)
    Aber im ernst: auch in Steeg gibt es Siff. Wie in allen Dörfern und Städtchen entlang des Mittelrheins. Liegt auch daran das viele alte Menschen wegsterben und die jungen auch nicht hier bleiben wollen. Resultat davon sind leere Häuser die verfallen oder auch brach liegende Flächen wo diese Menschen früher mal Wingerte hatten z.B. Aber auch viele alte Gaststätten und Hotels stehen seit Jahren leer und verfallen. Was will oder kann man aber dagegen tun? Kaufen-abreißen-neu bauen? Wer soll das bezahlen? Neue Hotels zu bauen kann man sich auch sparen am Mittelrhein. Ich glaube die Zeiten sind lange vorbei oder? Viele leerstehende Gebäude finde ich sogar spannend weil sie etwas aus alten Zeiten erzählen finde ich. Anderer Siff hingegen stört mich. Z.B. Speisekarten aus den 70er Jahren in Glaskasten die auch mindestens genauso lang nicht mehr gereinigt wurden. Und so etwas sieht man nicht gerade selten.
    Aber um die Schönheit des Mittelrheins zu sehen muss man sowieso aus den Dörfern und Städtchen raus und das Tal durch die Wälder erwandern!

    Danke für den Hinweis auf die FB Seite von „Besser Boppard“. Das ist wirklich eine gute Sache! Gefällt mir! Vielleicht gibt es so eine ähnliche Seite ja mal für das komplette Mittelrheintal?! Eine Seite in der sich die einzelnen Gemeinden austauschen wäre vielleicht mal ein guter Versuch und ein erster Schritt zu einem „Wir“!

  • Bardo Faust says:

    Hallo Frau Schober,

    mal so ganz grundsätzlich: Super Job! Gefällt mir.